Datenschutzverstoß und Schmerzensgeld: nun soll der EuGH entscheiden

Geschrieben von Jan Steinbach, veröffentlicht am 29.06.2021

Mit Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) unterliegt nunmehr auch das Recht des Schadenersatzes im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Datenschutzrecht einer unionseinheitlichen Regelung. So bestimmt Art. 82 DSGVO, dass „Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, [einen] Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter [hat]“.

Schmerzensgeld wegen Werbe-E-Mail

Aktuell ist diese Norm Gegenstand eines gerichtlichen Streits, in dem zu klären ist, wann die betroffene Person Ersatz für immaterielle Schäden (sog. Schmerzensgeld) verlangen kann. Grundlage des Streits war der Erhalt einer Werbe-E-Mail ohne ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen. Das Amtsgericht sah hierin zwar einen Verstoß gegen die DSGVO. Bewilligte mangels erkennbaren Schadens aber keinen Anspruch auf Schmerzensgeld nach Art. 82 DSGVO. Unter Berücksichtigung von Satz 3 des Erwägungsgrundes 146 DSGVO sah das Amtsgericht die Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten, da es sich lediglich um eine einzige E-Mail handelte, die nicht zu Unzeiten versandt worden war und zudem eindeutig als Werbung erkennbar gewesen ist.

Die Folge: Verfassungsbeschwerde wegen Entziehung des gesetzlichen Richters

Da weder Berufung noch Revision zugelassen wurde, wendete sich der Geschädigte mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Behauptung, in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 GG verletzt zu sein. Das BVerfG gab dem Beschwerdeführer mit der Begründung Recht, dass gesetzlicher Richter in diesem Fall der Europäische Gerichtshof (EuGH) sei. Da die Frage nach dem Vorliegen eines Schmerzensgeldanspruchs durch die Rechtsprechung des EuGHs nicht abschließend geklärt sei, müsse auf unionsrechtlicher Ebene eine einheitliche Entscheidung erwirkt werden.

Rechtlicher Hintergrund einer Vorabentscheidung durch den EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hiernach sind Gerichte der Mitgliedsstaaten unter bestimmten Umständen verpflichtet, den EuGH bei Unklarheiten über die Auslegung des Unionsrechts anzurufen, um eine einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewähren.

Schmerzensgeld im internationalen und europäischen Vergleich

Die Bedeutung des Schmerzensgelds variiert in den einzelnen Rechtskulturen stark. Vielen sind die horrenden Summen aus den USA bekannt, die sich aus den sog. Punitive damages (dt. Strafschadensersatz) ergeben. Denn während in den USA dem Schadenersatz auch eine bestrafende sowie eine spezial- und generalpräventive Funktion zukommt, beschränkt sich die Bedeutung in Deutschland auf eine Ausgleichs- und Sühnefunktion. Konkret heißt das: in Deutschland ist das Strafrecht streng vom Zivilrecht unterschieden, wohingegen in den USA mit den horrenden Ersatzsummen Strafzwecke wie kollektive und individuelle Abschreckung verfolgt werden.

Im europäischen Vergleich ist die Bedeutung des Schmerzensgeldes zwar nicht so grundsätzlich verschieden. Dennoch billigt Deutschland in weit weniger Fällen Schmerzensgeldsummen zu als z.B. Nachbarländer wie Frankreich oder Belgien.

Hinsichtlich eines Schmerzensgeldanspruchs im Rahmen einer Datenschutzverletzung bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass auch der BGH für den Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung die Präventivfunktion des Schmerzensgeldes angenommen hat und aus Gründen der Abschreckung teilweise höhere Summen zugesprochen hat. Neben diesem Umstand wird der EuGH aber auch berücksichtigen müssen, dass jede Verletzung des Datenschutzes bereits nach Art. 83 DSGVO mit einer Geldbuße geahndet werden kann, die vorrangig für eine abschreckende Wirkung und sonstige Strafzwecke sorgen soll. Auch die DSGVO trennt damit den Bereich des kompensatorischen Schadenersatzes (Art. 82 DSGVO) vom punitiven Strafrecht (Art. 83 DSGVO).

Fazit

Im Ergebnis spricht die Praxis der Mitgliedsstaaten zwar eher für ein Ausweitung der Schmerzensgeldansprüchen gegenüber der in Deutschland gängigen Praxis. Doch muss der EuGH die grundsätzliche Trennung zwischen zivilistischem Schadens- und öffentlichem Strafrecht als Bestandteil der europäischen Rechtskultur beachten, die auch durch die Systematik der DSGVO vorgezeichnet wird. Zudem wird er die engen kompetenzrechtlichen Vorgaben beachten müssen, die Art. 83 AEUV in Bezug auf ein europäisches Strafrecht festlegt, die auch durch eine extensive Auslegung verletzt werden könnte. Da die Entscheidung über das „Ob“ und die Höhe des Schmerzensgeldes nicht unbedeutende Auswirkungen auf die Klagepraxis zeitigen wird, sollte die Bedeutung der Entscheidung nicht unterschätzt werden und bleibt mit Spannung zu erwarten. Insbesondere ein sorgloser Umgang mit dem Versand von Newslettern oder Werbe-E-Mails dürfte für die Verantwortlichen schnell teuer werden, wenn Betroffene hieraus zusätzlich zum Bußgeld auch hohe Schmerzensgeldsummen erstreiten könnten.