Doctolib und das Land Berlin in der Kritik

Geschrieben von Kemal Webersohn, veröffentlicht am 10.10.2022

Das Land Berlin steht in der Kritik. Grund: Es hat zur Terminvergabe in den Corona-Impfzentren die Software Doctolib genutzt. Die Zurverfügungstellung der Software war für das Land kostenlos. Allerdings waren die Berliner*innen dadurch gezwungen, bei Doctolib ein Konto anzulegen, um einen Termin zu buchen. Die so erweiterte Patientenbasis verschafft Doctolib nun einen Wettbewerbsvorteil.

Wer heute einen Termin beim Arzt buchen möchte, der muss nicht mehr jede Praxis einzeln kontaktieren. Mit wenigen Klicks können freie Termine online auf einer Plattform wie Doctena, Dr. Flex oder Doctolib eingesehen und gebucht werden. Im Fall von Doctolib ist dazu eine Registrierung auf dem Portal notwendig. Bei Doctena aber z.B. nicht.

Für diejenigen, die regelmäßig Termine buchen, ist die Anlegung eines Kontos aber hilfreich, da die Daten, welche zur Terminbuchung notwendig sind, nicht bei jedem Termin von neuem angegeben werden müssen. Für diejenigen, die das Portal nur zur Terminvereinbarung im Rahmen einer Corona-Impfung nutzen möchten, bedeutet es eine langfristige, rechtliche Verpflichtung. Denn die Registrierungsdaten werden nicht automatisch nach dem Besuch beim Arzt bzw. Impfzentrum gelöscht. Sie werden im Fall Doctolib erst drei Jahre nach der letzten Terminvereinbarung bei einer Nichtnutzung des Nutzerkontos gelöscht. Bis dahin ist man bei Doktolib als Nutzer registriert. Es sei denn, man stellt selbst einen Antrag auf Löschung bei Doctolib. Eine Löschung der Daten seitens des Landes Berlin ist nicht mehr möglich, da die vertragliche Vereinbarung nur den Nutzer und Doctolib betrifft.

Der kommissarische Leiter der Berliner Datenschutzbehörde, Volker Brozio, sagte dem Tagesspiegel dazu: „Doctolib hat den Umstand, dass es als Dienstleister beauftragt wurde, dafür genutzt, eine rechtliche Kundenbindung herzustellen. Das wiederum hätte die Senatsverwaltung verhindern müssen. Wir haben sie mehrmals darauf hingewiesen.“

Laut Vorwürfen der Organisation Algorithm Watch enthielten weder die Vergabeformulare noch der Vertrag, den der Berliner Gesundheitssenat mit Doctolib zur Bereitsstellung der Plattform, geschlossen hatte, eine Klausel, die Doctolib untersage, die Konten der Nutzer*innen auch für etwas anderes als die Vergabe von Impfterminen zu nutzen. Dies wirft die Fragen bezüglich des Vergabeverfahrens auf. Der Senat hatte sich laut Algorithm Watch zunächst geweigert, den Vertrag und weitere Informationen zum Vergabeverfahren herauszugeben. Erst auf eine Klage der Nonprofit-Organisation FragDenStaat hin, gab der Senat die Dokumente frei. Das verblüffende an dem Vertrag ist der Preis, welcher für die Zurverfügungstellung der Plattform vereinbart wurde. Er liegt bei 0 Euro. An sich wäre es erfreulich, wenn die öffentliche Hand zur Abwechslung mal einen Dienstleister unentgeltlich in Anspruch nimmt, aber zu Lasten der Nutzer*innen, hatte der Senat übersehen, dass die Leistung zwar unentgeltlich, aber eben nicht kostenlos war. Denn gezahlt, wurde -wenn auch indirekt- mit den Daten der Nutzer*innen, also Bürger*innen. Wie dies, trotz Hinweisen der Berliner Datenschutzbehörde, passieren konnte, ist ungeklärt. Auch die Technikjournalistin Eva Wolfnagel sagte in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur: „Bei einem Angebot von null Euro, da müssen Alarmglocken anspringen!“.

Neben dem Vergabevorgang kritisierte Wolfnagel im Interview die Datenweitergabe von Doctolib in Bezug auf Plattformen wie Google und Facebook. In ihrer Recherche buchte sie auf der Plattform Termine, während sie in ihren Accounts bei Google und Facebook eingeloggt war. Auch nach der angeblichen Abstellung der Weitergabe durch Doctolib, habe sie die Datenweitergabe erneut beobachten können. Zudem untersuchte sie einen vorherigen Datenschutzvorfall. Laut Chaos Computer Club waren 150 Millionen Termine bis Mitte 2020 mit einfachen Tricks im Internet frei einzusehen. Doctolib leugnete den Vorfall und verwies auf nur 45 Termine in Deutschland, die davon betroffen gewesen seien. Laut Eva Wolfnagel, welche die Datensätze einsehen und einzelne nach eigenen Angaben verifizieren konnte, waren es mehr, als Doctolib offiziell bestätigt hat. Auch wenn die Aussagen der Technikjournalistin schwerlich überprüfbar sind, werfen sie kein gutes Licht auf Doctolib.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob das Land Berlin Konsequenzen für sein Vergabeverfahren ziehen wird, in dem es künftig auch teurere Angebote zu Gunsten des Datenschutzes stärker in der Gewichtung miteinbezieht.  Nutzer*innen, die Doctolib nach der Wahrnehmung ihres Impftermins nicht mehr nutzen möchten, sollten sich der Existenz ihres Kontos im Portal bewusst sein, und ggf. gem. Art. 17 Abs.1 DSGVO die Löschung verlangen.