Beurteilung des Chemnitz-Leaks

Geschrieben von Carolin Aßmann, veröffentlicht am 10.09.2018

Ende August war der Chemnitzer Haftbefehl im Internet zu sehen – liegt darin einer der ersten Verstöße gegen § 42 BDSG (2018)?

Chemnitz Haftbefehl Leak BDSG (2018)Verstörende Bilder erreichten uns da in den letzten Tagen aus Chemnitz. Sinn und Unsinn der Kritik an der Berichterstattung und an dem Umgang mit den Demonstrationen mal beiseite: der Leak eines ungekürzten und nicht geschwärzten Haftbefehls hat in der angeheizten Situation sicher nicht geholfen.

 

Was war passiert?

Am Sonntag, dem 26.08.2018 wurde in Chemnitz am Rande eines Volksfestes ein 35-Jähriger niedergestochen.  Am Abend des 27.08.2018 erging gegen einen dringend Tatverdächtigen ein Haftbefehl aufgrund gemeinschaftlichen Totschlages. Ermittlungen gegen einen zweiten Beschuldigten liefen weiter. Am Dienstagabend dann der Eklat: der Haftbefehl vom Montagabend erschien im Internet – ungeschwärzt. Im weiteren Verlauf stellte sich ein tatverdächtiger Justizbeamter der JVA Dresden. Er hatte den Haftbefehl abfotografiert und weitergegeben.

Leak des Chemnitzer Haftbefehls: Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht?

Juristisch betrachtet könnte es sich bei diesem Vorfall um den ersten Anwendungsfall des neuen § 42 BDSG (2018) handeln.

Da nach derzeitigem Erkenntnisstand ein gewerbsmäßiger Datenhandel wohl ausgeschlossen ist und zudem auch nicht die Daten einer Vielzahl von Personen, sondern lediglich die eines Einzelnen veröffentlicht wurden, kann zunächst nur Absatz 2 einschlägig sein. Tatbestandsvoraussetzungen des §42 Abs. 2 BDSG (2018) sind:

  • Personenbezogene Daten
  • Nicht allgemein zugänglich
  • Verarbeitung der Daten
  • Ohne Berechtigung (Abs. 2 Nr. 1)
  • Oder Erschleichen der Daten durch unrichtige Angaben (Abs. 2 Nr. 2)
  • Handeln gegen Entgelt (Abs. 2 Var. 1)
  • Oder mit Bereicherungsabsicht (Abs. 2 Var. 2)
  • Oder mit Schädigungsabsicht (Abs. 2 Var. 3)

In Frage kommt hier lediglich die unberechtigte Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, in der Absicht, einen anderen zu schädigen. Ein Erschleichen der Daten durch unrichtige Angaben scheidet aus, da der Justizbeamte im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses berechtigten Zugriff auf den Haftbefehl gehabt haben dürfte. Er handelte -soweit bekannt- nicht gegen Entgelt und hatte auch nicht die Absicht, sich zu bereichern, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Justizbeamte sich einen Vermögensvorteil verschaffen wollte.

Offenlegung durch Verbreitung

Eine unberechtigte Verarbeitung liegt in der Weitergabe des Haftbefehls, da Art 4 Nr. 2 DS-GVO i. V. m. § 1 Abs. 5 BDSG (2018) auch Offenlegung durch Verbreitung als Datenverarbeitung legal definiert. Ein Haftbefehl enthält Daten zu Namen, Adresse und Nationalität der betroffenen Personen, weswegen es sich um personenbezogene Daten handelt. Haftbefehle sind grundsätzlich nicht allgemein zugänglich. Fraglich ist aber, ob der Justizbeamte auch mit Schädigungsabsicht gehandelt hat. Diese wird definiert als „Wille des Täters einem anderen durch die Tat einen Schaden zuzufügen“, wobei der Nachteil nicht materieller Natur sein muss. Der eingetretene Nachteil müsste Ziel des Justizbeamten gewesen sein und dürfte nicht als bloßes Nebenprodukt der Verarbeitung der personenbezogenen Daten aufgetreten sein. Insofern sind Rufschädigungen und Ehrverletzungen durchaus von § 42 Abs. 2 BDSG (2018) erfasst. In dem vorliegenden Fall war das Zeil des Justizbeamten aber wohl weniger die Ehrverletzung des Beschuldigten, als mehr die Offenlegung der Tat. Dies deswegen, da die Motivation des Justizbeamten sich nach derzeitigem Erkenntnisstand daraus ergab, dass dieser den Spekulationen über den Tathergang entgegen wirken wollte. So jedenfalls nachzulesen in einem Artikel auf tagesschau.de.

Gegenargument könnte sein, dass auch die Bloßstellung des Beschuldigten von der Absicht des Justizbeamten umfasst war. Die Bloßstellung eines Beschuldigten stellt nach Auffassung des LG Achens (Urteil vom 18.02.2011 – – 71 Ns-504 Js 506/09-129/10) zumindest auch einen Nachteil für diesen dar, da der Schutz der Identität noch während des Ermittlungsverfahrens bereits darin begründet ist, dass ein Ermittlungsverfahren auch mit Einstellung der Ermittlungen und mit der Entlastung eines Beschuldigten enden kann. Die Mitteilung von amtlichen Dokumenten eines Strafverfahrens vor der Erörterung in der öffentlichen Verhandlung wird deswegen auch in § 353d StGB sanktioniert. Dem Justizbeamten könnte es – nach derzeitigem Erkenntnistand – jedenfalls auch um die Umgehung des Beschuldigtenschutzes gegangen sein. Dies wäre auch eine Nachteilszufügung gegenüber dem Beschuldigten.

Fazit

Vertretbar sind – mit entsprechender Argumentation – die Annahme wie auch die Ablehnung des § 42 BDSG (2018) für diesen Fall. Wir legen den §42 BDSG (2018) eng aus und lehnen eine Anwendbarkeit für diesen Fall ab. Letztlich wird §42 BDSG (2018) wohl daran scheitern, dass der Beweis, dass es dem Justizbeamten unmittelbar auf die Bloßstellung des Beschuldigten und die Umgehung des Beschuldigtenschutzes ankam als er den Haftbefehl offenlegte, schwer fallen wird.

In jedem Fall steht die Tat des Justizbeamten durch § 353d StGB unter Strafe.