Clearview: Jedes Gesicht wird zur Datenbank

Geschrieben von Matthias Hinrichs, veröffentlicht am 13.03.2020

Artifizielle oder auch künstliche Intelligenz gilt schon seit geraumer Zeit als nächste Evolutionsstufe der Digitalisierung. Das US amerikanischen StartUp ClearView entwickelte jüngst eine besonders eindrucksvolle Variante von selbstlernender Software: Gespeist aus mehreren Milliarden öffentlich zugänglicher Fotos, ist ClearView in der Lage, einmal analysierte und abgespeicherte Gesichter immer wieder zu erkennen. Beobachter sehen eine große Missbrauchsgefahr und warnen vor dem Aushöhlen der Privatsphäre.

Ein zweites Cambridge Analytica?

Zunächst erinnert im Falle Clearview vieles an die, im Wahlkampf von Donald Trump und im Rahmen der Brexit Abstimmung 2016, bekannt gewordene Firma Cambridge Analytica: Einem kleinen, nahezu unbekanntem Unternehmen gelingt durch Auswertung öffentlich zugänglicher Profile die maschinelle Identifizierung des Einzelnen. Während Cambridge Analytica zu diesem Zweck jedoch vor Allem persönliche Daten zusammentrug und allein innerhalb sozialer Netzwerke anwendbar war, genügt es der Clearview Software einmalig das Foto einer Person analysiert zu haben, um diese auch in anderen Medien auch in Zukunft wiedererkennen zu können. Zudem agiert Clearview nicht im Hintergrund sondern verkauft und kommuniziert seine Technologie ganz offen.

Anwendungsbeispiele für Gesichtserkennung

Mehrere US Behörden sollen diese bereits einsetzen, so ist beispielsweise das FBI dazu übergegangen bei der Ermittlung auf die Dienste von Clearview zurückzugreifen, da die Datenbank dieses Dienstes weitaus umfangreicher sei als die eigenen. Denn im Allgemeinen haben die meisten Sicherheitsbehörden, auch die Deutschen, zwar eigene Datenbanken zur Gesichtserkennung – diese werden jedoch nur aus bereits erkennungsdienstlich behandelten Personen gespeist. Clearview hingegen bietet nun die Möglichkeit nahezu jede Person, sofern nur einmal ein Foto dieser publiziert wurde, zu erkennen.

Darüber hinaus existiert nach eigenen Angaben gar eine Virtual Reality Funktion, mittels derer eine Echtzeiterkennung möglich wird. Dies ginge noch weit über die zuletzt wieder diskutierte und am Berliner Südkreuz in einem Feldversuch ausprobierte Scansoftware im Rahmen der Videoüberwachung hinaus.

Gefahren und Risiken

Unschwer lassen sich aus der umfassenden Bildanalyse dystopische Zukunftsszenarien ableiten: Zum einen werden dem Staat und seinen Institutionen ungeahnt weitreichende Überwachungsmöglichkeiten an die Hand gegeben. Personenkontrollen, Profiling, Beobachtung des öffentlichen Raumes könnten zu lückenlosen Bewegungs- und Verhaltensprofilen zusammengefügt werden.

Als besonders kritisch ist auch die Gefahr des Missbrauchs anzusehen: In den Händen Krimineller könnten die Funktionen von Clearview zur Identifizierung unliebsamer Kontrahenten verwendet werden, auch eine Zweckentfremdung durch Beamte, die beispielsweise einem Nebenbuhler nachstellen möchten, wäre denkbar.

Darüber hinaus bestehen systematische Probleme: Wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber der süddeutschen Zeitung schilderte, ist von einer strukturellen Benachteiligung auszugehen: Da Grundlage der Datenbanken von Clearview vorrangig die Gesichter weißer Personen sind, sei zu befürchten, dass die Software bei farbigen Menschen ungenauer ist, was nicht nur Vorurteile verstärken, sondern auch falsche Verdächtigungen bedingen könne.

Ist das gegenwärtige Datenschutzrecht ausreichend?

In Bewusstsein dieser potenziell schadhaften Verwendung von Gesichtserkennung und KI stellt sich die Frage, inwiefern eine solche rechtlich zulässig wäre und wie der Gesetzgeber ggf. auf die neuen Herausforderungen reagieren möchte.

Die DSGVO untersagt grundsätzlich die Verarbeitung personenbezogener Daten, sofern diese nicht durch wenigstens eine der sechs Rechtsgrundlagen aus Art. 6 Abs. 1 s. 1 lit. a) -f) DSGVO gerechtfertigt werden kann. Von diesen kommt für die Nutzung zur Gesichtserkennung pauschal zunächst keine in Betracht.

Jedoch wird die DSGVO in bestimmten Bereichen ergänzt: etwa durch die speziellere Richtlinie für Polizei und Justiz sowie mehreren Öffnungsklauseln. Eben durch diese könnte es potenziell möglich sein, die behördliche Verwendung zu rechtfertigen. Darüber hinaus plant das Innenministerium ein Gesetz zur Ausweitung der biometrischen Videoüberwachung – welches ebenfalls eine Rechtsgrundlage liefern könnte.

Vieles spricht also dafür, dass die durch Clearview aufgeworfenen Fragen noch länger Diskussionsgegenstand bleiben werden. Wie üblich werden wir Sie dazu an dieser Stelle auf dem Laufenden halten.