Auslistungsanspruch gegen Suchmaschinen bestätigt

Geschrieben von Kemal Webersohn, veröffentlicht am 17.05.2023

Auch wenn man sich dessen nicht rühmt, fast jeder hat es schonmal getan: Den Nachbarn, den Arbeitskollegen oder sich selbst gegoogelt. Vor- und Nachname genügen und schon erscheinen zahlreiche Links zu unterschiedlichen Einträgen und Presseartikeln in einer langen Liste. Unter anderem auch Links zu Artikeln, die man eigentlich lieber gelöscht sehen würde. Insbesondere, wenn es um Sachverhalte geht, die einem die Zukunft verbauen können. Der Bundesgerichtshof hat dazu am 03.05.2022 entschieden: Ein Anspruch auf Löschung des Links aus den Suchmaschinenergebnissen kann gem. Art. 17 DSGVO bestehen. Doch die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Löschantrag sind hoch.  

Der Sachverhalt 

Der Kläger, dessen Auslistungsanspruch der Bundesgerichtshof (BGH) im Mai 2022 bestätigt hat, hatte im März 1988 mit einem Mittäter drei Menschen überfallen und ermordet. Aus seiner lebenslangen Haftstrafe wurde er im November 2014 unter Erlass der Reststrafe entlassen. Für die meisten Verurteilten beginnt nun der Prozess der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die sog.  „Resozialisierung“. Doch in einem Zeitalter, in dem es heißt „Das Internet vergisst nie“ kann Resozialisierung für Täter schwierig sein, da Presseartikel über ihre Verbrechen auch Jahre danach noch online für Nachbarn, Freunde und Familie lesbar sind. Das musste auch der Kläger feststellen, als er seinen Vor- und Nachnamen bei der Suchmaschine des Beklagten eingab. In der Ergebnisliste der Suchmaschine erschien ein Link zu einem Artikel, der 1988 in einem Nachrichtenmagazin erschienen und sich unter voller Namensnennung des Klägers mit dessen Straftaten befasste. Der Kläger verlangte daher vom Betreiber der Suchmaschine, die Anzeige des Links zu dem Artikel unter Eingabe des Vor- und Nachnamens zu unterlassen. Da sich der Suchmaschinenbetreiber weigerte, wurde der Rechtsstreit nach mehreren Instanzen vor dem Landes- und Oberlandesgericht Karlsruhe schließlich vor dem Bundesgerichtshof verhandelt. 

Das Urteil des BGH: 

Die Richter bestätigten einen Anspruch des Klägers auf Löschung des Links zum Presseartikel gem. Art. 17 Abs. 1 DSGVO. Zur Begründung führten sie aus, dass nicht nur mehrere Löschungsgründe gem. Art. 17 Abs.1 lit. a, c, d DSGVO vorlagen, sondern auch dass die Verlinkung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information nicht erforderlich ist (vgl. Art. 17 Abs. 3 lit.a) DSGVO. Der Senat hat sich damit im Rahmen einer umfassenden Grundrechtsabwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens (Art. 7 GRCh) und Schutz seiner personenbezogenen Daten (Art. (GRCh) einerseits und dem Recht des Suchmaschinenbetreibers auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) andererseits auf die Seite des Klägers gestellt. Zudem stellte der BGH fest, dass der Kläger nicht erst auf eine Löschung des Presseartikels selbst hinwirken muss, sondern dass der Anspruch auf Löschung des Links in der Ergebnisliste (Auslistungsanpruch) und ein möglicher Anspruch auf Löschung des Presseartikels unabhängig voneinander bestehen.  

Ist das Urteil auf meinen Fall ableitbar? 

Auf den ersten Blick wirkt das Urteil wie ein Befreiungsschlag für all diejenigen, die schon lange hofften, bei Google einen Link zu einem unliebsamen Artikel löschen zu lassen, doch diese Hoffnung ist trügerisch, denn der BGH hat sein Urteil nicht nur auf das Vorliegen der Löschungsgründe nach Art. 17 Abs.1 Buchst. a, c und d DSGVO gestützt, sondern auch auf eine umfassende Grundrechtsabwägung. Beide gehen Hand in Hand und können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. 

Die meisten Anträge auf Löschung personenbezogener Daten werden, wie auch im vorliegenden Fall, damit begründet, dass die Daten für die Zwecke, für die sie erhoben worden sind, nicht mehr notwendig sind, Art. 17 Abs. 1 lit.a DSGVO. Zweck der Veröffentlichung des Presseartikels war die Informierung der Öffentlichkeit über das laufende Strafverfahren gegen den Kläger. Diesbezüglich erkannte der BGH an, dass das Interesse an einem Zugang der Öffentlichkeit zu dem Presseartikel in einem Online-Archiv durchaus schutzwürdig ist. Allerdings erklärten die Richter auch, dass das Interesse an einer Auffindbarkeit des Artikels über eine Suchmaschine durch Eingabe des Namens des Klägers wesentlich geringer sei. Denn das Interesse der Öffentlichkeit an dessen Person trete im Kontext des Presseartikels mit zunehmendem Zeitablauf immer weiter zurück. Dem Kläger kam daher zugute, dass zwischen der Veröffentlichung des Artikels 1988 und der letzten Tatsachenverhandlung 2020, gut 32 Jahre vergangen waren.  

Wer nun allerdings beginnt, die Jahre seit Veröffentlichung eines unliebsamen Artikels an zwei Händen abzuzählen, tut dies vergebens. Denn der BGH hat nochmals bestätigt, dass es nicht möglich sei, einen Schutzanspruch unter schematischer Übernahme etwaiger Verwendungs-, Veröffentlichungs-, oder Löschungspflichten zu bestimmen. Dies gilt bei Straftaten auch hinsichtlich der Fristen des Bundeszentralregistergesetzes. Nur weil Einträge im Bundeszentralregister nach bestimmten Fristen gelöscht werden – bei Mord beträgt die Tilgungsfrist 20 Jahre – bedeutet dies also nicht, dass Suchmaschinen ebenfalls zur Löschung eines Links nach 20 Jahren verpflichtet sind. Die Fristen können lediglich im Rahmen einer eigenständigen grundrechtlichen Abwägung als Orientierungshilfe herangezogen werden.  

Neben dem Löschungsgrund aus Art. 17 Abs.1 lit. a DSGVO berief sich der Kläger aber auch auf Art. 17 Abs.1 lit. c) Alt. 1 DSGVO. Danach ist der Verantwortliche zur Löschung der Daten verpflichtet, wenn die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung eingelegt hat und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung bestehen. Der Kläger hatte umgehend nach Kenntnisnahme des Links im Suchmaschinenergebnis der Beklagten Widerspruch gegen die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten eingelegt. Bei der Frage, ob keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung bestehen, würdigten die Richter insbesondere das individuelle Verhalten des Klägers. Ein berechtigter Grund für die weitere Verarbeitung der Daten bestehe, so die Richter, unter anderem dann, wenn die betroffene Person auch im Kontext ihrer Straftaten weiterhin öffentlich in Erscheinung tritt. Ist dies nicht der Fall, kann auch die Auffindbarkeit des Links im Suchmaschinenergebnis nur schwerlich begründet werden. Die Chance, vergessen zu werden, muss also auch auf einem Verhalten basieren, welches von einem „Vergessenwerdenwollen“ getragen wird. Der Kläger trat nach seiner Verurteilung nicht wieder in das Licht der Öffentlichkeit. Somit ergab sich für die Richter des BGH keine fortlaufende Bedeutung gerade der Person des Klägers, mit welcher die weitere Verarbeitung der Daten hätte begründet werden können. Es ist daher ratsam, nach einer Veröffentlichung keine Aufmerksamkeit zu erzeugen, die das Interesse an der ursprünglichen Berichterstattung wieder aktualisiert.  

Zum letzten vom Kläger vorgebrachten Löschungsgrund aus Art. 17 Abs. 1 lit.d) DSGVO nahmen die Richter nur wenig Stellung. Nach Art. 17 Abs.1 lit.d) DSGVO besteht ein Anspruch auf Löschung von personenbezogenen Daten dann, wenn sie unrechtmäßig verarbeitet wurden. Trotz des Wortlauts (“wurde”) kommt es bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit nicht auf den Zeitpunkt der ersten Verarbeitung der personenbezogenen Daten an, sondern auf den gegenwärtigen Zeitpunkt, der Geltendmachung des Löschungsanspruches an. Dabei ist die Verarbeitung unrechtmäßig, wenn für sie keine Rechtsgrundlage vorliegt.  Die Anzeige des Links zum Presseartikel über die Verbrechen des Klägers geschah auf Grundlage des berechtigten Interesses des Suchmaschinenbetreibers, Art. 6 Abs.1 S.1 lit. f) DSGVO. Die Richter erkannten in diesem Zusammenhang an, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zur Umsetzung des Geschäftsmodells von Suchmaschinenbetreibern erforderlich ist und daher durchaus ein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung vorliegt. Die Frage, ob nicht die Grundrechte und die Grundfreiheiten des Klägers diese berechtigten Interessen des Suchmaschinenbetreibers überwiegen und somit Art. 6 Abs.1 S.1 lit.f) DSGVO als Rechtsgrundlage ausscheidet, beantworteten die Richter im Rahmen einer Gesamtrechtsabwägung der betroffenen Grundrechte. 

Dabei musste der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers gegen die unternehmerische Freiheit des Suchmaschinenbetreibers, die Meinungsfreiheit derer, die Inhalte im Internet anbieten und die Informationsinteressen der Nutzer abgewogen werden. 

Wichtig bei der Einschätzung, wie stark der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu werten ist, war für die Richter die Priorität, mit welcher der Link zum Presseartikel in dem Suchmaschinenergebnis angezeigt wird. Je weiter oben der Link in dem Suchmaschinenergebnis angezeigt wird, desto einschneidender der Eingriff. Der Grund dafür liegt in der menschlichen Natur. Wer beispielsweise den Namen seines Nachbarn googelt, der wird höchstwahrscheinlich nicht alle Ergebnisseiten untersuchen, sondern sein Interesse auf die ersten zwei Ergebnisseiten beschränken. An dieser Stelle hat der BGH klargestellt, dass es um die Suchmaschinenergebnisse zum maßgeblichen Zeitpunkt geht. Stellt, also ein anderes Gericht Wochen später fest, dass der Link zum Artikel an hinterer Stelle in den Ergebnissen auftaucht, hat dies keinen Einfluss auf die Lage zum maßgeblichen Zeitpunkt. Darum sollten Sie prüfen und dokumentieren, wann und an welcher Stelle ein Artikel zu Ihrer Person in der Liste der Suchmaschinenergebnisse auftaucht. Im Fall des Klägers tauchte der Link stets an vierter Stelle in der Ergebnisliste auf, was die Wahrscheinlichkeit des Auffindens des Presseartikels durch das soziale Umfeld des Klägers nach Auffassung der Richter sehr wahrscheinlich und die Chancen auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft vermindern würde.  

Neben der Priorität des Links in der Ergebnisliste bezogen die Richter aber auch die Inhalte des Links also den Ursprung und das Thema des Presseberichts in die Bewertung des Eingriffs mit ein. Dadurch, dass der Presseartikel nicht nur auf die Verurteilung des Klägers wegen einer schweren Straftat einging, sondern auch die Persönlichkeit des Klägers beschrieb, würden die Chancen des Klägers auf einen Neuanfang nach Auffassung der Richter nachhaltig behindert. Diese erhebliche Belastung des Klägers konnte nicht mit den Informationsinteressen der Nutzer und der Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter gerechtfertigt werden, da das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nach dem Urteil nur geringfügig berührt wird. Grund dafür ist, dass eine Löschung des Ergebnislinks bei einer Suche, deren ausschließliche Grundlage der Name des Klägers ist, nichts an der allgemeinen Auffindbarkeit des Presseartikels auf Grundlage weiterer Suchparameter ändert. Wer einen Auslistungsanspruch geltend machen will, sollte daher nicht nur die Suchmaschinenergebnisse und die Position des ihn betreffenden Links dokumentieren, sondern auch darlegen können, warum der Inhalt des Links einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt, der auch durch die Rechte Dritter auf freie Meinungsäußerung und Informationen nicht mehr gerechtfertigt werden kann.  

Fazit  

Das Urteil des BGH hat die Betroffenen in Ihrem Recht auf Vergessenwerden erheblich gestärkt. Es fordert Suchmaschinenbetreiber zu einer gleichberechtigten Grundrechtsprüfung auf. Bei Löschanträgen darauf zu verweisen, dass ein Tätigwerden nur bei Kenntnisnahme von offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzungen nötig ist, reicht nun eindeutig nicht mehr aus. Zudem ist nun klar, dass ein Auslistungsanspruch gegenüber dem Suchmaschinenbetreiber unabhängig von einem möglichen Anspruch auf Löschung eines Presseartikels gegenüber dem veröffentlichenden Verlag besteht. Betroffene können daher direkt gegen den Suchmaschinenbetreiber vorgehen.  

Wer bei einem Suchmaschinenbetreiber einen Löschantrag stellt, muss diesen, bei Weigerung des Betreibers zudem bei Gericht, gut begründen können. Daher sollten Betroffene schon vor Antragstellung Informationen über den Zeitraum seit Veröffentlichung eines Artikels, die betroffenen Lebensbereiche, und weitere Presseartikel zur eigenen Person sammeln. Je eindeutiger und detaillierter dem Suchmaschinenbetreiber die Begründung des Anspruchs dargelegt werden kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer außergerichtlichen Einigung.